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Wasserbaby-Post

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Ausgabe 04/98

Unsere vergessenen Kinder

Die einen haben eine Kindheit, die anderen keine Chance. Die einen dürfen nicht mit Plastikrevolvern schießen, die anderen werden mit zwölf, dreizehn, vierzehn, in kriegsführende Armeen gepresst. Die einen päppelt man mit bio-dynamischer Nahrung auf, damit sie groß und stark werden, die anderen schnüffeln Lack, damit der Hunger nicht so quält. Die einen verbringen Urlaub auf dem Ponyhof, die anderen werden auf Kamelrücken gefesselt und in barbarische Wettrennen gehetzt. Die einen haben ein eigenes Zimmer, die anderen gerade mal einen Pappkarton auf der Straße. Die einen erhalten Sexualkundeunterricht, die anderen müssen, mir zwölf, dreizehn, vierzehn, für Touristen die Beine breit machen. Die einen haben Waldorflehrer, die anderen nur die UNESCO. Die einen leben bei uns um die Ecke die anderen ein paar tausend Kilometer weit und doch nur ein Last-Minute- Ticket entfernt. Dass die Ungerechtigkeiten der Welt auch und vor allem Kinder treffen, ist ein Gemeinplatz, so banal, dass man sich beinahe schämt, ihn auszusprechen. Warum auch sollte es Ausnahmen geben für sie? Warum sollte man gerade ihnen die Folgen der Politik, die Härten der Ausbeutung, den Blutdurst der Kriege und der sexuellen Hunger nach Frischfleisch, kurzum den Irrsinn der Epoche, ersparen? Und dennoch: Ist hilflose Empörung nicht noch besser als gar keine? Und achselzuckend die Augen zu verschließen nicht noch unbarmherziger als- hinzusehen?
Einer, der das tut, ist der Bostoner Fotograf Stan Grossfeld. Dass er nie resigniert hat, sich nie taub und stumm hat machen lassen von so scheußlichen wie alltäglichen Elend, das er mit seiner Kamera dokumentiert, hat einen schlichten Grund: Grossfeld glaubt nicht daran, dass man nichts tun kann. Quatsch, sagt er, man kann, jeder von uns. Ein paar Pfennige genügen, um ein verhungerndes Kind doch noch zu retten. Und ein paar Mark, um Schulbücher für eine Schulklasse am anderen Ende der Welt anzuschaffen. Natürlich lindert das nur die Symptome, ändert nichts an den Ursachen. Aber zwischen Symptomen und Ursachen unterscheiden zu können ist ein Luxus, den die nicht haben, um die es geht.
Die Mädchen in den schäbigen Puffs von Bangkok zum Beispiel, die auf Freier aus der Ersten, aus unseren Welt warten. Über 800 000 Kinderprostituierte gibt es in Thailand, viele beginnen mit elf, viele müssen über ein Dutzend Männer am Tag bedienen, für etwa zwanzig Mark die Nummer. Für sie bleiben dabei zwei Mahlzeiten am Tag und das Dach über dem Kopf, den Rest bekommt der Besitzer.
Da, wo die dritte Welt kein Reiseziel der Ersten ist, geht es noch gnadenloser zu. Im Rotlichtbezirk von Bombay, den ein US-Journalist die "drei perversesten Quadratkilometer der Erde" genannt hat, werden die Mädchen gleich in Käfigen auf offener Strasse gehalten und müssen in ihren eigenen Exkrementen vor sich hin vegetieren, bis ein Freier die fünf Mark springen lässt, die hier der Sex (oder was immer das ist) kostet. Entführte nepalesische Mädchen werden im Schnitt für 3500 Mark versteigert, an Männer (?) die sich einbilden mit Jungfrauen zu schlafen wäre eine prima Prävention gegen Syphilis und Aids.
Doch die sexuelle Knechtschaft ist nur eine der vielen Formen der Sklaverei, die Kinder erleiden müssen, überall auf unserem netten kleinen Planeten. Kinder schuften, zehn, zwölf, vierzehn Stunden am Tag, in Bergwerken, auf mit Pestiziden verseuchten Feldern, in dreckigen Fabrik-Klitschen, als Tiefseetaucher. Und nicht selten erzeugen sie dabei Produkte, die für ihre Altersgenossen in den postindustriellen Staaten des Westens gedacht sind.


Spielzeug made in China? In den Montagehallen sitzen Kids.
Lederfußbälle? Werden für zehn Pfennige die Stunde, von zwölfjährigen in Pakistan zusammengenäht.
Die neuen Sportschuhe? Kommen aus indonesischen Kinderhänden.
Der Orangensaft auf dem Frühstückstisch? Kids in Brasilien haben dafür geschuftet.
Früher einmal hat man das Imperialismus genannt, heute spricht man von der Globalisierung der Wirtschaft. Hört sich gleich viel unverfänglicher an.
Weltweit, so schätzen Experten, gibt es mehr als 200 Millionen Kinder unter 14, die, statt zur Schule zu gehen, den ganzen Tag arbeiten. Das senkt die Produktionskosten, erhöht die Gewinne und garantiert die Wettbewerbsfähigkeit. Und, sagen die Öffentlichkeitssprecher der
Konzerne, werden sie einmal nach Kinderarbeit abgeklopft: Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen, tut uns leid, aber... .In der Tat: Viel lässt sich wirklich nicht ausrichten gegen die globale Nutzung von Kinder-Arbeitskraft. Die Konsumenten wissen in aller Regel nicht, wer unter welchen Bedingungen all die schönen Waren in den Einkaufszentren hergestellt hat; die Unternehmen betreiben restriktive Informationspolitik, die Politiker werden einen Teufel tun, Kinderarbeit am anderen Ende der Welt zum Thema zu machen, die Gewerkschaften feiern die internationale Solidarität nur noch am 1.Mai, und die UNESCO kann auch nicht viel mehr tun, als Resolutionen zu verabschieden, denen alle zustimmen und an die sich niemand hält.
So müssen sie weiterschuften, die achtjährigen Jungs in den Messingschmieden und Teppichwebereien Indiens und Pakistans zum Beispiel, die wie Sklaven gehalten werden und nicht selten die Schulden abarbeiten müssen, die ihre Eltern bei Kredithaien gemacht haben. Oder die mexikanischen Kids, die, statt ihre Pubertät ausleben zu können, zur Erntezeit jene Früchte pflücken, die wir dann genießen. Sind eben billige Arbeitskräfte die sich zudem leicht verstecken lassen, wenn die Beamten vom Arbeitsinspektorat doch mal nachgucken. Von den über 100 000 illegal auf US Farmenbeschäftigten Kindern wurden 1994 gerade mal 200 aufgegriffen.
Dennoch: Ein wenig Hoffnung gibt es. Ein paar US-Unternehmen haben in den letzten Jahren endlich damit begonnen, darauf zu achten, dass ihre überseeischen Zulieferer keine Kinder
unter 14 Jahren beschäftigen und die Selbstverpflichtung auch strikt zu überwachen. Besonders vorbildlich ist das Beispiel von Levi Strauss. Als die Jeansfirma herausfand, dass zwei ihrer Vertragspartner in Bangladesch Kinder unter vierzehn beschäftigten, ließ sie diese bei vollem Lohn und mit Rückkehrgarantie freistellen, damit sie einen Schule besuchen konnten, statt neue Jobs anzunehmen. An den Ursachen von Kinderarbeit können dererlei Maßnahmen nichts än dern - das wissen auch die Manager von Levi Strauss. Aber immerhin bewirken sie etwas höchst Vernünftiges. Und vielleicht entsteht ja ein hilfreicher öffentlicher Druck, wenn wir Konsumenten endlich einmal gute Gründe geliefert bekommen uns für eine bestimmte Marke zu entscheiden

Seht her, scheinen die Kinder auf Grossfelds Fotos zu sagen, seht verdammt noch mal her, tut irgendwas, ihr seid doch erwachsen! Aber wir wissen darauf keine Antwort. Fragt uns doch lieber, wie der Mars aussieht.
Nein, auch daran lässt Grossfeld kein Zweifel offen, wir Bewohner der reicheren, komfortableren Welt haben wahrlich kein Grund, besonders Stolz zu sein. Straßenkinder findet man auch bei uns, jeden Tag laufen wir an ihnen vorbei.
Kinderpornographie? Man muss nur in die Hauptbahnhöfe der Großstädte gehen und nach FKK-Zeitschriften verlangen.
Armut? Ach was, mehr Sozialstaat können wir uns wirklich nicht leisten.
Wohnungsnot? In den Altbaufluchten leben jetzt die Singles. Dieses Gesetz, nach dem jedes Kind Anspruch auf ein Kindergartenplatz hat? Hey, wir müssen doch Maastricht erfüllen. Hört sich ziemlich Hilflos an? Stimmt.
Was tun also für die vergessenen Kinder? Ein bisschen was geht immer, und ein bisschen ist mehr als nichts. Spenden Sie hundert Mark. Oder zehn.
Übernehmen Sie die Kosten einer Grundschulausbildung eines Kindes in der Dritten Welt Boykottieren Sie Zeitungskioske, in denen es den "Sonnenfreund" und ähnlichen Giftmüll gibt. Sagen Sie dem Besitzer der Zeitungskioske, warum Sie sie boykottieren.
Lassen Sie sich mit der Öffentlichkeitsabteilung Ihres Sportschuhherstellers (oder anderen Firmen) verbinden, und fragen ihn ob er garantieren kann, dass die Produkte nicht von Kindern gemacht werden. Fragen Sie ihn warum er das nicht weiß.
Prüfen Sie, ehe sie Aktien von global operierenden Konzernen kaufen, ob von deren Unternehmensethik Kinderarbeit ausgeschlossen wird.
Fragen Sie sich, ob das was Sie tun; Kindern schaden könnte. Und ob Sie es guten Gewissens Kindern erklären könnten.
Viel ist das nicht. Aber eine ganze Menge.

Das erwähnte Buch von Stan Grasseid, "Lost Futures: Dur For gotten Children" ist im US
Verlag Apeture erschienen und kostet ca. 65 Mark

Gekürzt aus: Amiga 9/97, Vergessene Kinder, Peter Praschl

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