Wasserbaby-Post
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Ausgabe 01/02
Wir sind die Wurzelkinder ...
Wir sind die Wurzelkinder ...
... und gehen in den Wald.
Wir singen, spielen, lachen,
ob’s warm ist oder kalt.
Unser Rucksack wiegt nicht viel,
damit kommen wir gut ans Ziel;
wir sind die Wurzelkinder
Melodie: „Ein Männlein steht im Walde“
und gehen in den Wald.“ Text: G. Weber
Mit diesem Begrüßungslied beginnt allmorgendlich um 8.30
Uhr der Vormittag im Waldkindergarten Wurzelkinder e.V. Neben dem
gemeinsamen Anfang mit dem „Morgenkreis“ sind ein miteinander
eingenommenes, (möglichst) vollwertiges Vesper aller Kinder,
sowie der gemeinsame Abschluss (Schlusskreis) gegen 12.30 Uhr die
„Orientierungspunkte“ im Waldkindergartenalltag.
Der erste Waldkindergarten des Enzkreises ist seit
dem 01.09.2001 in Neuhausen-Hamberg in Betrieb. Bundesweit existieren
rund einhundert Einrichtungen dieser Art, davon alleine ca. achtzig
in Baden-Württemberg. Vor gut fünfzig Jahren wurde der
aller erste Waldkindergarten von engagierten Eltern in Dänemark
gegründet.
Was ist eigentlich ein Waldkindergarten?
Bei einem Waldkindergarten handelt es sich um einen
Ort ohne Türen und Wände, der dem Selbstverständlichsten
am Kindsein wieder Raum gibt: draußen zu sein und in der Natur
zu spielen - das ganze Jahr. Im Wald scheint etwas zu finden zu
sein, das einem beheizten, behüteten und mit Materialien ausgestattetem
Gebäude abgeht – und das bei jedem Wetter und zu jeder
Jahreszeit. Im Waldkindergarten wird die Entwicklung des Kindes
auf natürliche Weise gefördert. Eine zugewandte, liebevolle
Beziehung zu allem Lebendigen wird gestiftet; außerdem wird
eine gesunde Distanz zu den Verheißungen der menschgemachten
Dinge vermittelt. Vieles, was im Regelkindergarten mit Mühe
aufgeboten wird, vom kreativitätsanregenden Spielmaterial über
Gerät für die motorische Entwicklung bis hin zum „spielzeugfreien
Kindergarten“ – alles das ist im Wald schon lange einfach
da – und noch so viel mehr und zugleich so viel weniger. Aus
diesen Gründen halten wir den Wald für die am besten geeignete
Umgebung, um die vorschulische Entwicklung und Bildung zu fördern
(Informationsschrift der Naturschule Freiburg e.V.).
Das pädagogische Konzept des Waldkindergartens
enthält folgende Schwerpunkte:
Sozialverhalten:
Aufgrund der besonderen räumlichen Gegebenheit
eines Waldkindergartens (ohne Türen und Wände und mit
mehr als genügend Platz für jedes einzelne Kind) entstehen
seltener Aggressionen in der Gruppe; außerdem können
sich Aggressionen im Kind kaum aufstauen, da der Wald vielfältige
Möglichkeiten bietet, diese abzubauen und in angemessener Weise
in Kreativität umzuwandeln. Ob es sich dabei um das Herbeischleppen
eines schweren Astes handelt, oder um die Erklimmung einer glitschigen
Böschung – immer finden sich ausreichend Möglichkeiten,
die eigene Energie in sinnvolle, konstruktive Bahnen zu lenken.
Unser pädagogisches Team (ein Erzieher, eine Erzieherin, eine
Vorpraktikantin für zwanzig Kinder) stellt immer wieder fest,
dass das in einem Regelkindergarten oft vorhandene Konfliktpotential
im Waldkindergarten tatsächlich „kein Thema“ ist.
Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen gleichfalls
in der Besonderheit der Umgebung: Der Geräuschpegel im Waldkindergarten
ist wesentlich geringer als bei einer vergleichbar großen
Gruppe in geschlossenen Räumen. Dies erzeugt bereits viel weniger
Stress beim einzelnen Gruppenmitglied. Bei Reibereien gibt es für
das „schwächere“ Kind unbegrenzt viel Raum, um
auszuweichen und sich zurückzuziehen. Die mehrstündige
tägliche Bewegung an der frischen Luft sorgt gleichzeitig für
ein gesundes „Austoben“ des kindlichen Bewegungsdranges,
so dass die Kinder ohnedies meist sehr ausgeglichen sind.
Strukturierung der Waldkindergartenarbeit
Durch den Rhythmus der Jahreszeiten werden die
Abläufe im jahreszeitlichen
Naturkreislauf direkt und unmittelbar, sozusagen hautnah erlebt.
Die freie Entfaltung der Fantasiekräfte
des Kindes. Die Erfahrbarkeit von Stille.
Die spontane und freie Bewegung
der Kinder im Wald. Sie erfahren dadurch die Möglichkeiten
und Grenzen ihrer eigenen Körperlichkeit. In der Natur bietet
sich eine Vielfalt an Bewegungsanlässen und –möglichkeiten.
Die vier Elemente Wasser, Erde, Luft
und Feuer gehören zu den existenziellen Lebensgrundlagen
des Menschen. Das unmittelbare Erleben und der direkte Umgang mit
diesen Elementen und den dazugehörigen Naturerscheinungen wie
Nebel, Regen, Eis, Schnee, Hagel und Regenbogen bereichern das Kind
in seiner Gesamtpersönlichkeit.
Alle fünf Sinne
des Kindes werden im Wald ganz besonders differenziert angesprochen.
Die Förderung im psychomotorischen
Bereich findet unter idealen Bedingungen statt, weil
das Kind umgeben ist vom optimalen Raum für intensives, ganzkörperliches
Handeln.
Kinder mit Behinderungen
werden – sofern dies im Bereich ihrer eigenen und der Möglichkeiten
des Waldkindergartens liegt – gerne aufgenommen. Ihre Integration
ist eine erstrebenswerte Bereicherung für die Gesamtgruppe.
Die Bewegung in frischer Luft bei jeder Witterung
fördert die Gesundheit und stärkt das Immunsystem.
Für unsere Familie war die Weiterentwicklung
unserer Kinder von einer natürlichen, möglichst unbelasteten
Schwangerschaft über die gewaltfreie Haus- und Wassergeburt
bis zum Besuch (und damit Gründung) eines Wald-Kindergartens
vor Ort die logische und folgerichtige Konsequenz aus der Berücksichtigung
der echten, kindlichen Bedürfnisse. Auch im Schulalter versuchen
wir ganzheitlich auf die Kinder einzugehen und bieten (einmal pro
Woche) einen Schülernachmittag im Wald an. Die Ausweitung auf
drei „altersgemischte“ Nachmittage (Kindergarten- und
Schulkinder) ist in Vorbereitung. Daneben planen wir den Betrieb
einer Jugendfarm für Schüler zwischen sechs und vierzehn
Jahren. Ein bunt bebildertes Kinderbuch zum Thema Waldkindergarten
(J. Dittrich, I. Miklitz, S. Roehr) wird demnächst veröffentlicht
werden.
Beratung
von Neugründungen:
Landesverband der Wald- und Naturkindergärten Baden-Württemberg
e.V., www.waldkindergartenlandesverband.de
Jutta Dittrich
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